Die Rache der Sybille W.
Unscheinbar, mager und kindlich sah sie aus, als ich ihr das erste mal begegnete.
Unter all den Frauen fiel sie nicht besonders auf. Sicher gab es Männer die sich für
sie interessierten, ich glaube aber keiner hatte ernsthafte Absichten eine feste Bindung
mit ihr einzugehen.
So kam es, dass sie lange Zeit in unserem Betrieb arbeitete ohne von mir wahrgenommen
zu werden. Sie verrichtete ihre Arbeit sehr ruhig und zurückhaltend. Die Schwatzhaftigkeit
und die gelockerten Sitten der meisten anderen Mitarbeiter, trug dazu bei, dass sie stets
im Verborgenen blieb. Es war also kein Wunder wenn ich überhaupt nicht bemerkte als
sie schwanger wurde und eine Zeit lang nicht im Betrieb war. Ich hatte mit mir zu tun, denn
es begann das „ Drama“ mit Moni. Diese Affäre brachte mich fast zur Verzweiflung und nur
mit Mühe entrann ich dem Schicksal eines Trinkers. Auf dem Höhepunkt dieser Krise rückte
Sybille plötzlich und unerwartet in mein Gesichtsfeld. Sie hatte ihr Kind geboren und arbeitete
nun wieder bei uns. Sie war mit der Sybille die ich bisher kannte nicht zu vergleichen. Ihr
Körper war der Körper einer reifen Frau. Ihre Brüste verursachten Wunschvorstellungen,
die alle Verpflichtungen einer anderen Frau gegenüber vergessen ließen. Sie war unsagbar
schön geworden. Ihr Gesicht hatte eine Anziehungskraft gewonnen der keiner entkommen konnte.
Die strengen Linien der Augen verrieten Würde und Selbstwertgefühl. Ihre zarten Lippen
konnten Schwindel erregen und Sinne verwirren. Mit einem Wort Sybille war eine begehrenswerte Frau.
Als ich mich einem Ausflug der Abteilung anschloss der sie angehörte, gelang es mir ihr
ein wenig näher zu kommen. Noch unter dem chaotischen Ausgang der Verbindung mit
Moni leidend hatte ich aber nicht so recht den Mut und die Initiative eine stärkere Bindung zu ihr zu suchen.
Wie es für mich damals so üblich war, trank ich etwas zu viel und war am Ende der Fahrt ganz schön blau.
In meinem vom Alkohol reichlich angeschlagenen Kopf war noch so viel Ordnung um zu bemerken wie
sie auf dem Weg nach Hause neben mir ging. Ich hatte wohl Schwierigkeiten geradeaus zu gehen und
so hakte sie mich einfach unter. Schließlich gelangten wir an eine Straßenbahnhaltestelle vor
ihrem Haus. Von hier aus konnte ich fahren um ebenfalls nach Hause zu gelangen. Zum Glück
war keine Bahn weit und breit zu sehen und so blieb sie noch bei mir. Ich war froh darüber,
hatte ich doch jemanden dem ich von meinem „ großen Kummer „ erzählen konnte. Ich redete mir alles
von der Seele und überhäufte sie dabei mit Zärtlichkeit . Ich hatte das Gefühl sie ist eine Frau die alles
versteht und der man sich anvertrauen kann. Anfänglich wehrte sie sich nicht gegen meine Umarmungen.
Offensichtlich wurde ihr die Sache zu dumm und sie sagte ich sollte sie nicht laufend küssen, sie sei doch meine .... hier brach sie ab.
Durch diese in einem harten Ton gesagten Worte war ich schlagartig ernüchtert. Ich sah ein mit welcher
Dummheit ich ihre Gefühle verletzt hatte. Von Weitem fuhr eine Straßenbahn heran und sie schob mich in einen der Waggons.
Diese Begegnung mit ihr beschäftigte mich in den darauffolgenden Tagen sehr. Der Gedanke mich bei ihr zu
entschuldigen war derart drängend, dass ich während ich im Wagen fuhr eine rote Ampel übersah. Erst als ich an
der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung ankam, bemerkte ich was geschehen war und blieb am Straßenrand
für einige Minuten mit zittrigen Händen stehen. So etwas hatte es vorher noch nie bei mir gegeben.
Als ich sie schließlich wieder traf, trug ich ihr meine Entschuldigung mit linkischen Worten vor. Sie hatte alles nicht
für so furchtbar ernst genommen und verzieh mir ohne weiter darüber zu sprechen. Nun verschlang mich der Alltag
für längere Zeit in seiner trägen, breiigen Masse. Erst als die Weihnachtszeit heran rückte wurde ich wieder einmal
mit Sybille zusammengeführt. In dieser Zeit feierten in unserem Betrieb die einzelnen Abteilungen
Weihnachten. Sybilles Gruppe lud mich zu ihrer Feier ein. Mir gefiel es von Anfang an. Es kam
der „ Weihnachtsmann „ und die Musik war auch reichlich und gut vorhanden. An diesem Abend,
so glaube ich im Nachhinein , bestand wohl die einzige Möglichkeit Sybille für mich zu gewinnen. Ich
tanzte den ganzen Abend fast ausschließlich mit ihr. Obwohl Moni mich noch immer gefangen hielt,
erwachte ein Gefühl der Zuneigung und Liebe für Sybille in mir. Eng umschlungen verbrachten wir die
letzten Stunden der Veranstaltung alles um uns vergessend im Tanz. Diesmal war der Weg nach Hause
etwas anders als bei unserer letzten Begegnung. Um eine Straßenbahn zu bekommen rannten wir zwei
Hand in Hand die Straße entlang. Wir schafften es und hatten die Bahn erreicht. An Sybilles Haltestelle angekommen
stieg ich mit ihr aus. Es war noch ein größeres Stück Weg zu ihrem Haus zu laufen. Wir gingen beide Arm in Arm,
als müsse es so sein, auf einer der belebtesten Straßen der Stadt einher. Vor ihrem Haus angekommen
war die Reihe an mir auf eine Bahn zu warten. Diesmal wagte ich es nicht sie mehrmals zu Küssen, es viel
jedoch sehr schwer. Ich dachte an mein Verhalten als ich schon einmal mit ihr an dieser Stelle auf meine
Heimfahrt wartete. Doch ganz ohne Kuss wollte ich nicht gehen und als man ein Gefährt von Weiten hörte
nahm ich sie in den Arm und küsste sie leidenschaftlich. Diesmal geschah es ohne Protest.
Von hier an liefen unsere Wege wieder auseinander. Durch ständige Dienstreisen und durch den Einfluss
von Moni, der noch stärker war als ich zugeben wollte, verlor ich Sybille aus den Augen.
Eine tiefe Traurigkeit breitete sich in mir aus als ich erfuhr Sybille und ein Kollege der mir gut bekannt ist sind
zusammen. Ich wusste dieser Mann besaß eine brutale Gefühlswelt, die Gefahr Sybille ernstlich damit zu verletzen
erschien mir groß. Wie wird sie die Verbindung verkraften, was wird er ihr antun? Nun sie hat zu entscheiden
und mich darf dies nicht interessieren. Ich glaube Sybille hat den Wechsel von einem unscheinbaren, kleinen
Mädchen zu einer von allen bewunderten Frau nicht beherrscht und erlag den Verlockungen. Sie sollte jetzt aus
Erfahrung lernen. Ein, zwei Jahre vergingen. In dieser Zeit sah ich sie ab und zu in unseren Betrieb. Ihre
dezente Schönheit stellte die Umgebung in den Schatten. Wo sie war, war Licht. Ich glaube es wird keinen
von uns gegeben haben der sich nicht um sie bemühte. Erstaunlicherweise lies sie mich jetzt kalt. Ihr Glanz
hatte für mich an Wärme verloren, er war wie der Schein eines kalten Edelsteines geworden.
Dies sollte ich nicht sagen, denn erst jetzt verfiel ich ihr ganz und gar.
Ohne an Sybille viele Gedanken zu verschwenden ging ich meiner
Arbeit nach. Es gab genug zu tun und die Aufgaben die vor uns standen benötigten Menschen mit klaren
Köpfen. Nach sehr langer Zeit hatten Sybille und ich wieder einmal zusammen Schicht.
Ich bemerkte sie erst als wir schon den zweiten Tag zur selben Zeit arbeiteten. Da wir annähernd
den gleichen Weg zur Arbeitsstelle hatten, bot ich ihr an sie im Wagen mitzunehmen. Sie willigte ein.
Ohne es zu ahnen wurde diese Zusage für mich eine der schlimmsten Enttäuschungen die ich in meinem
Leben zu überstehen hatte. Schon zur ersten Heimfahrt brachen alle Gefühle, die sich in meinem
Unterbewusstsein erhalten hatten, hemmungslos hervor. Es war mir nicht mehr möglich sie zu zügeln.
Bei einer der nächsten Fahrten bat ich sie mit mir doch einmal irgendwohin essen zu gehen. Zu meiner
Freude nahm sie die Einladung an. Wir verabredeten uns und ich holte sie an dem betreffenden Tag ab.
Ich hatte mir ein kleines Städtchen ausgesucht in welches wir fahren wollten. Da meine Gedanken nur um
sie kreisten, fand ich die richtige Straße erst nach einen beträchtlichen Umweg. Wir sind dennoch
angekommen und für mich war es herrlich neben ihr zu gehen. Nach einem kurzen Schaufensterbummel
setzten wir uns in ein Restaurant. Hier hatten wir Schwierigkeiten einen Platz zu bekommen obwohl
viele Stühle nicht besetzt waren. Nachdem ich mit der Bedienung sprach bekamen wir einen Tisch
für zwei Personen. Es war genau das Richtige für uns. Sie wollte nicht sehr viel essen um ihre Figur
so zu erhalten wie sie war. Sie hat übrigens eine bezaubernde Figur! Mir zu liebe aß sie sogar einen
Eisbecher. Wer kann sich da noch über meine Erwartungen wundern. Für mich war die Zeit die uns für
dieses Zusammensein zur Verfügung stand viel zu kurz. Ich wollte noch mit ihr allein sein, darum gingen
wir bald zu unseren Auto. Allmählich fuhren wir der Heimatstadt entgegen. Je weite wir uns dem Koloss
näherten um so langsamer fuhr das Auto. Ich hätte sie am liebsten gar nicht zurückgebracht. Schüchtern
suchte ich ihre Hand. Sie überließ sie mir ohne eine Regung ihres Innersten erkennen zu lassen. Ich war
mir nicht sicher ob in ihrem Gesicht Resignation zu sehen war, zumindest hatte ich den Eindruck.
Automatisch hob sich mein Fuß vom Gaspedal und der Wagen rollte in die Einmündung eines Feldweges.
Was nun, wir zwei allein, kein Mensch in der Nähe, Finsternis. Im matten Schein der Sterne die durch die
Dunstglocke der nahen Großstadt ihr Licht zu uns in das Fahrzeug schickten, schaute ich ihr offen in die Augen. Ich nahm ihr
Gesicht in die Hände und küsste sie auf den Mund. Sie ließ es geschehen und legte ihren Arm ohne ein Gefühl zu verraten auf den
Meinen. Für einen Moment war es mir als fiel ich in eine Schlucht ohne jemals den Boden zu erreichen.
Eine unheimliche Tiefe nahm mich in sich auf. Ich hatte das Gefühl sie zu küssen, ohne dass sie anwesend war.
Wir sprachen noch über Vieles was uns bewegte. Schließlich wollte sie weiterfahren. Ich fuhr sie vor ihr Haus
und verabschiedete mich mit einem Flüchtigen Kuss auf ihre Wange. An den darauffolgenden Tagen fuhren
wir, wie es schon zur Gewohnheit wurde zusammen zur Arbeit. Ich ließ sie wissen wie es um mich stand.
Meine Zuneigung ihr gegenüber wurde unkontrollierbar. Ich verliebte mich mit einer Schnelligkeit in sie
die ich beängstigend fand. Sie sagte mir, es sei nicht gut, wenn ich sie lieben würde. Sie könne die Liebe
nicht erwidern, da sie es leid sei zu lügen und andere Menschen zu betrügen. Sie wolle ruhig leben und nicht
in eine Situation kommen aus der es nur schwer einen Ausweg gibt. Sie meinte, für sie würde sich kein
Mann von seiner Frau trennen. Den Sinn ihrer Worte verstand ich wohl. Wir durchlebten beide schon eine
solche Situation von der sie sprach. Mir gelang es damals nur unter großen Anstrengungen Moni zu vergessen
und doch bedrängte ich Sybille mit der Bitte, noch einmal mit ihr zusammen einen Ausflug zu unternehmen. Die
Vernunft die aus ihrem Gesagten zu ersehen war, ist in meinen Gedanken nicht zu finden. Für mich stand nur die
Frage, Sybille zu sehen, mit ihr zusammen zu sein. Auf meine Bitte ging sie nicht ein. Ich trieb sie schließlich soweit
in die Enge und rang ihr folgendes Zugeständnis ab. An dem Tag an dem ich sie treffen wollte, werde ich anrufen.
Erfüllt sie meinen Wunsch sollte sie kommen. Bleib es aber bei einer Ablehnung dann würde sie sagen sie sei noch
sehr müde und könne nicht mitfahren. Ich legte ihr somit die Antwort in den Mund, mit der Annahme sie würde mit mir sprechen.
Als ich ihr meine Vorstellungen darlegte, versuchte ich sie zu umarmen. Sie wich mir aus. Mit Mühe reichte ihre
Zuneigung mir gegenüber, mich nicht vor Sehnsucht verhungern zu lassen. Die Zärtlichkeit die für sie bestimmt
waren, nahm sie mit Zurückhaltung und Kühle an. Mich beschlich die Ahnung, ich werde sie nie wieder so nahe
bei mir haben wie in diesem Augenblick.
Nicht sehr zuversichtlich wartete ich auf den Tag unserer Vereinbarung. Mein Schlaf wurde durch dunkle Träume
zerrissen. Sie würde nicht kommen und ich werde ziemlich hilflos dastehen war das Thema solcher Traumfetzen.
Zur festgelegten Uhrzeit rief ich an. Wenn sie jetzt auch absagt, so würde ich wenigstens ihre Stimme hören.
Die Möglichkeit, dass sie nicht ans Telefon geht war für mich nicht existent. Habe ich ihr doch erklärt was sie zu sagen hatte.
Ich begriff nicht was vor sich ging, als sich ihre Stimme nicht meldete. Statt dessen führte mir das Rufzeichen
meine Dummheit eindringlich vor und bohrte sich immer tiefer in mein Bewusstsein. Normal denkend wäre mir
sofort bewusst geworden , sie will mich nicht sprechen. Spätere Anrufe blieben ebenfalls erfolglos. So etwas hatte
ich nicht erwartet. Sie hätte mit mir sprechen können. Unruhig lief ich in der Stadt umher ohne einen klaren Gedanken
formulieren zu können. Am Mittag versuchte ich es ein letztes mal sie zu erreichen. Vermutlich erwartete sie meinen
Anruf nicht mehr und ging an den Apparat. Sie nahm den Hörer ab, wir waren durch einen der dünnen Drähte
verbunden die kreuz und quer durch die Stadt liefen.Sie erfand eine Geschichte die sie mir erzählte als ich nach
unserer Verabredung fragte. Ich glaubte ihr nicht, ich wusste sie war in ihrer Wohnung als ich anrief. Was war über
sie gekommen? Warum griff sie zu einem solchen Mittel mich loszuwerden. Sie sollte nur die von mir
vorgeschriebenen Worte in das Mikrophon des Hörers sprechen und ich hätte einsehen müssen, dass
wir uns nicht sehen dürfen. Erst jetzt als sie gezwungen war mit mir sprechen erfuhr ich was sie bewegte.
All die vergangenen Jahre als ihr keiner Beachtung schenkte, hatten in ihr Zorn aufgestaut, der sich nun
über mich ergoss. Sie erwähnte, zehn Jahre sei sie im Betrieb und keiner habe sie vorher beachtet. Jetzt bemühen
sich plötzlich fast alle Männer um sie. Auch ich sei kein Stück besser. Mit den durch den Hörer geschleuderten Worten,
die mich wie eine Keule trafen brachte sie mich Schritt für Schritt genüsslich um. Mir war in der engen
Telefonzelle wirklich wie sterben. Es war ihr gelungen, sich für all die Zeit zu rächen in der sie von allen
ungeachtet mit großen Wünschen und Plänen in jeden neuen Tag ging. Ich glaube mit ihrer Rache hat sie
nicht ganz den Richtigen getroffen. Meine Zuneigung ihr gegenüber war ehrlich und stark. Für sie würde
es mir möglich sein Manches aufzugeben.
Später erfuhr ich Sybille hat sich nicht allein an mir so hart gerächt. Gleich mir starben einige Männer.